Scham und Pflege
Nie werde ich vergessen, wie meine pflegebedürftige Mutter reagiert hat, als es notwendig war, dass mein Mann sie waschen musste.
Am Tag vorher konnte ich plötzlich den gekippten Rollstuhl auf den fünf Stufen in den Garten nicht mehr halten. Plötzlich war die Kraft weg. Ich konnte nur noch schnell meine Hände unter die Griffe des Rollstuhls schieben und so verhindern, dass meine Mutter mit dem Kopf auf die Steinstufen aufschlug. Dabei brach ich mir meine Handgelenke, meine Mutter kam ohne eine Schramme davon.
So standen wir dann abends beim Bett meiner Mutter, meine Hände in Gips.
Mein Mann meinte, ich müsse ihm halt zeigen und erklären, was zu tun sei. Mutig. Ich habe ihn sehr bewundert.
Aber meine Mutter war voller Scham. Sie konnte nach ihrem Schlaganfall nicht reden, sondern ihre Gefühle nur durch Laute und Blicke äußern. Dass ich sie wasche und pflege, daran hatte sie sich in den zwei Wochen davor schon gewöhnt, aber nun ein Mann? Mein Mann?
Wir haben ihr erklärt, dass das Heim die Alternative wäre. Daheim ginge es nur so …
Wir haben sie dann noch behutsamer gepflegt und alles zugedeckt, was nicht gerade gesäubert werden musste, und das Licht gedimmt.
Man muss sich nur vorstellen, wie es einem selbst gehen würde in ähnlicher Situation.
Als etwa Siebenjährige war ich wegen einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus. Es war Besuchszeit und die junge Frau im Nachbarbett hatte Besuch von ihrem Freund. Und ich musste dringend und durfte nach der OP nicht aufstehen. So brachte mir die Schwester die Bettschüssel und meinte, das ginge schon mit den Decken um mich herum.
Da saß ich dann auf meiner Schüssel, zwar eingepackt in Decken, aber komplett verzweifelt. Ich konnte doch nicht! Es war schon schwer genug neben den Mitpatientinnen, aber noch dazu vor einem Besuch! Als Kind fühlte ich mich nicht ernst genommen in diesem Moment.
Endlich hat mich jemand gerettet und den Besuch aus dem Zimmer geschickt.
Solche Erlebnisse helfen dann, andere zu verstehen.