Gedanken in einer Zeit der Krisen
Gesundheitskrise, Klimakrise, Ehekrise, Glaubenskrise, Regierungskrise, Vertrauenskrise, Berufskrise, Sinnkrise, Wirtschaftskrise, und, und, und ….
Wir leben in einer von Krisen geprägten Zeit! Jedenfalls vermitteln uns die Schlagzeilen in den Medien diesen Befund. Aber auch im privaten, beruflichen und sozialen Umfeld machen viele von uns die beängstigende Erfahrung solcher oder ähnlicher Krisen.
Manchmal kommt die Krise plötzlich: ein Unfall, eine Kündigung, eine Trennung, ein Todesfall. Manchmal deuten dunkle Wolken auf eine bevorstehende Krise hin: eine hartnäckige Krankheit, Alkohol, Drogen, ein Auseinanderleben in der Partnerschaft, u. ä.
Krisen verursachen oft Lebensumbrüche – und umgekehrt! Aber wie konkret damit umgehen? Wie soll es trotz der aktuell belastenden Gegenwart weitergehen? Und wie kann man durch die Krise hindurch eine gute Zukunft in den Blick nehmen?
In vielen Ratgebern, Büchern und Seminaren von erfahrenen und klugen Expert:innen finden sich wertvolle Hinweise und Vorschläge für Lösungen. In der Telefonseelsorge verzichten wir weitgehend auf Ratschläge. Nicht das Problem steht im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit, sondern der Mensch, die/der aktuell Anrufende.
Jedes Gespräch ist einmalig, wie eben jeder Mensch in jeder Situation einmalig ist. Manchmal kann es auch hilfreich sein, das eigene Problem in einem größeren Rahmen zu sehen: Welche Krisen habe ich schon bewältigt? Was hat damals geholfen? Vermutlich hat jede Generation zu allen Zeiten Umbrüche und Krisen erfahren. Daraus könnte man die Hoffnung schöpfen, dass es auch für mich weiter gehen wird, hoffentlich gut weitergehen wird.
Vielen Menschen gelingt es, nach bewältigter Krise neu durchzustarten: Das kann ein neuer Beruf sein, von dem ich vielleicht schon immer geträumt habe. Oder ich fasse nach überstandener schwerer Krankheit wieder Mut und finde einen neuen Sinn in meinem Leben, trotz körperlicher Einschränkungen. Manchmal zeigt sich auch ein Potential an Energie, das niemand in dieser Person vermutet hätte, schon gar nicht sie selbst.
Da fallen mir Bilder aus der Natur ein: zwischen Felsengestein zeigt sich eine Blume. Oder am vermeintlich verdorrten Baum sprießt ein frischer Zweig. Wenn sich das erste Grün zeigt, ist das ein sicherer Beweis dafür, dass alles in der Schöpfung auf Leben hin ausgerichtet ist. Wir wissen aber auch, dass das Wachstum oft im Verborgenen, zögerlich beginnt, und dass wir es kaum beeinflussen können. Diese geheime Kraft des Wachsens und des Neubeginns lässt sich gelegentlich auch am Telefon erahnen: z. B. wenn erste kleine Schritte sichtbar werden, die Halt geben können; oder wenn jemand wieder festen Boden unter den Füssen spürt, vielleicht noch sehr unsicher.
Übrigens: Wenn ich nach einem Dienst in der Telefonseelsorge feststelle, dass ich selbst vor vielen Krisen bewahrt blieb, mit denen die Menschen, die angerufen haben, schwer zu kämpfen haben, dann spüre ich Dankbarkeit! Große Dankbarkeit!