Kontaktabbruch
Schon seit fast einem Jahr hat die Mutter keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter, die im Nebenhaus wohnt und niemanden aus der Familie sehen will.
Der Anlass? Die Tochter braucht ihre Freiheit, um sich entwickeln zu können, sagt sie und sieht im Rückblick die ganze Kindheit nur noch schwarz. Die Eltern blättern die Familienalben mit den strahlenden Kinder- und Jugendbildern durch und verstehen die Welt nicht mehr.
Für die Tochter ist das alles existenziell und ernst. Sie meint, dass sie jetzt ihre Selbständigkeit leben muss und frei sein will, sieht aber nicht, dass die Eltern sie weiterhin finanziell unterstützen und ihre Selbständigkeit nur relativ ist.
Die Eltern versuchen alles, was ihnen möglich ist. Sie warten …, dann schreiben sie SMS, sagen der Tochter, dass sie sie vermissen, dass sie sie lieb haben. Aber es kommt keine Antwort. Der Kummer der Eltern erreicht sie nicht.
Die Eltern suchen in ihrer Erinnerung, suchen Fehler, suchen Schuld, sind ratlos.
Alle Höhen und Tiefen leben sie durch, von „Jetzt lassen wir sie einfach!“ bis zu den großen „Warum-Fragen“ ist alles dabei.
Es ist eine stete Bindung mit Schmerzen.
Die Eltern holen sich therapeutische Unterstützung und beginnen, ihre Tochter innerlich loszulassen. Die Mutter entwickelt ein Ritual. Immer, wenn der Schmerz auftaucht, dann schickt sie der Tochter gute Gedanken, stellt sich vor, dass sie hinter ihrer Tochter steht, ihr sozusagen den Rücken stärkt. „Es ist gut. Ich segne dich. Ich liebe dich. Ich lasse dich los!“, murmelt oder denkt sie dann.
Manchmal stellt sie sich vor, wie es wäre, wenn die Tochter auf sie zukommt, sie sich umarmen, so wie es früher war. Oft tauchen auch Träume auf in dieser Richtung und sie wacht mit einem Glücksgefühl auf.
Hoffnungsschimmer.