KRANK! Warum gerade ich?
Eine Frage, die ich mir selber schon öfter gestellt habe. Eine Frage, die oft mit Unsicherheit, Sorge und quälender Angst einhergeht. Eine Frage, die uns nahestehende Menschen, Freunde, Bekannte, vielleicht die eigenen Eltern stellen angesichts einer Krankheit oder einer Diagnose, die einem den Atem nimmt und die einen besorgniserregenden Verlauf vermuten lässt. Wer die Frage nach dem Warum stellt, erwartet meist keine Antwort, denn wir alle ahnen in dieser Situation zutiefst, dass es keine Antwort und keine Erklärung geben wird. Von wem auch?
In Beratungsgesprächen ist Krankheit ein häufiges Thema. Dabei geht es selten um medizinische Expertise, sondern oft ist es die Belastung, die Erfahrung von Ohnmacht und Ausgeliefertsein, das quälende Warten auf den Befund oder die lähmende Angst, weswegen ratlose Menschen ein entlastendes Gespräch suchen.
Ich selbst bin in der glücklichen Lage, dass ich zwar mehrere Krankheiten durchgemacht habe, aber eine lebensbedrohliche Diagnose am eigenen Leib ist mir bisher erspart geblieben. Dafür bin ich dankbar.
Ganz anderes habe ich im familiären Umfeld erlebt: schwere Erkrankungen, die sich über Jahre hinzogen, immer schlechter wurden und schließlich im Tod endeten. Die Sorge als Angehörige, wenn es um Betreuung und Pflege geht, das Gefühl der Hilflosigkeit, wenn keine Therapie mehr anspricht, die flehenden Augen einer Schwerkranken, die nur noch diese Möglichkeit hat, sich mitzuteilen - all das ist mir sehr vertraut.
In Beratungsgesprächen mache ich die Erfahrung, dass bei Angehörigen von Kranken zu allen schon erwähnten Belastungen gelegentlich auch die Frage nach Schuld, nach den Schuldigen kommt: Hätte ich als Vater nicht längst sehen müssen, dass mein Sohn in Alkohol und Drogen die Lösung seiner Probleme gesucht hat? Womöglich deshalb, weil ich keine Zeit für ihn hatte und mir Anderes wichtiger war? Wollte ich als Mutter einer kleinen Tochter die Hinweise auf sexuellen Missbrauch nicht ernst nehmen - und jetzt, in der Pubertät leidet sie an Bulimie mit beängstigenden suizidalen Phasen?
Wenn es im vertraulichen Gespräch gelingt, diese Fragen ohne Gesichtsverlust anzusprechen, kann das eine erste Entlastung sein und Wege für weitere heilsame Schritte öffnen. Ich komme zurück zur Eingangsfrage: Warum Krankheit? Warum gerade ich? Warum so viel Unheil in der Welt? Und weiter: Wo ist Gott? Warum lässt er all das Elend zu? Warum hilft er nicht? Sind alle Gebete um Heilung ins Leere gegangen? Seit jeher beschäftigen sich Menschen aller Religionen mit diesen Fragen.
Eine Antwort, die ich für mich selbst suche und die ich in Gesprächen auch immer wieder anrege, ist, mir bewusst zu machen, dass mir das Leben mit allem Drum und Dran geschenkt bzw. zugemutet ist und ich darauf vertrauen darf, dass alles einen Sinn hat, nicht nur das Angenehme und Schöne, sondern eben auch das Unverständliche und Unerklärliche. Und ich glaube fest, dass ich irgendwann, spätestens in der Todesstunde, JA sagen kann zum Leben, wie es war, auch mit all dem Leid und den Krankheiten. In diesen Wochen feiern wir Christen Ostern, Auferstehung. Wir feiern Erlösung von Leid, Krankheit und von Schuld. Wenn ich im Sterben meinem persönlichen Ostern entgegengehe, erwarte ich eine Antwort auf die vielen unbeantworteten Fragen nach dem Warum. Das ist mein Glaube. Das ist meine Hoffnung.