Vom Gehen und vom Bleiben
Oft, schon so oft, habe ich innerlich die Koffer gepackt, alles Wichtige für mich darin verstaut und war bereit, das Alte hinter mir zu lassen.
Und oft, schon so oft, ist mir nach endlos scheinender Traurigkeit und Verzweiflung der Satz: „Ich geh jetzt!“ doch im Hals steckengeblieben, wie eine Lunte, die kurz vor der Explosion erlischt.
Tja und dazwischen? Da gab es gute Zeiten, normale, unspektakuläre Zeiten, bequeme Zeiten, lustige und auch prickelnde Zeiten, zufriedene Zeiten. Ist es das, was eine jahrzehntelange Partnerschaft beschreibt? Ist es dieses Auf und Ab, was schlussendlich den allerletzten Impuls, sich zu trennen, unterdrückt und schwächer werden lässt?
Manchmal ist schlicht und einfach nur Verwunderung darüber da, wieviel man eigentlich aushält und wie schnell man vergibt. Beim ersten netten Wort schon umfällt und nach Anerkennung, Zuneigung und Liebe lechzt, alles vergessen und verziehen. Klingt nicht gerade nach Selbstbewusstsein und Stärke, oder?
Und wie muss sich das alles erst anfühlen, wenn Gewalt und Unterdrückung mit im Spiel ist? Wenn Brutalität und Eifersucht an der Tagesordnung stehen? In vielen Gesprächen bei der Telefonseelsorge geht es um Scham und Schuld. Scham darüber, sich schwach zu fühlen, ausgeliefert, versagt zu haben und trotzdem zu bleiben. Schuld daran zu sein, es nicht besser hinzukriegen.
Mir scheint wichtig, nicht zu verurteilen, sondern nach Auswegen zu suchen. Wie kann ich, wie können wir, das Leben besser machen? Sich selbst und den anderen wieder mehr Wertschätzung schenken? Wie ein klares, mutiges NEIN sagen, wenn es keine Änderung gibt? Wie kann ich mein Vertrauen wachsen lassen, dass es schon tausende vor mir geschafft haben?
Aber jede und jeder muss für sich ganz allein den ersten Schritt machen. Und es ist kein Makel, kein Scheitern, wenn dieser Schritt vollzogen ist. Auch wenn es schwierige Zeiten nach sich zieht, so bleibt am Ende das Gefühl der Selbstachtung. Aus Wut wurde Mut!
Und dann mach ich einen Winterspaziergang, atme die herrliche, kalte Winterluft ein, schmunzle, weil mir bewusst wird, dass es mir im Grunde ja gut geht denn: es gibt auch andere Menschen, die mein Herz mit Liebe füllen.