Ein Neubeginn mit angezogener Bremse
Als Kind habe ich es geliebt, zu Beginn eines neuen Schuljahres neue Schreibhefte zu haben. Blütenweiße Seiten warteten darauf, beschrieben zu werden. Auf der ersten Seite habe ich mich immer um besondere Schönschrift bemüht und leider selten durchgehalten.Bei einem neu gekauften Buch geht es mir ebenso. Es ist für mich ein Genuss, es zum ersten Mal zu öffnen, die ersten Seiten umzublättern. Ich freue mich und bin in Erwartung auf gute Gedanken oder auf eine Geschichte, in die ich eintauchen kann.
Voller guter Ideen bin ich vor einem Jahr nach einem erfüllten Berufsleben in Pension gegangen. Die eine oder andere Reise stand auf dem Plan, mehr Zeit für Familie und Freunde, ein neues ehrenamtliches Engagement … und dann kam Corona.
Mein altes Leben mit vielen sozialen Kontakten und spannenden Aufgaben hatte ich beendet. Das gab es nicht mehr. Und nun war Vieles, auf das ich mich gefreut hatte, nicht möglich. Obwohl ich vor kurzem noch 50 Stunden pro Woche berufstätig gewesen war, hieß es plötzlich, ich gehöre zur Risikogruppe und sollte nicht einmal mehr einkaufen gehen. Das war wie eine Vollbremsung mit allem, was dazu gehört: Irritation, Frust, Wut, Trauer, Enttäuschung, Ausgeschlossen sein.
Zum Glück ist es nicht dabei geblieben und ich habe so wie die meisten gelernt, mit der Situation umzugehen: die Natur intensiv zu erleben, viele Waldspaziergänge zu machen, etwas anderes Neues zu beginnen und zum Beispiel über Zoom eine neue Sprache zu lernen oder mit anderen zu kommunizieren.
Corona war und ist für viele Menschen wie eine Vollbremsung in ihrem Leben, oft mit viel härteren Umständen als den meinen, die sogar die wirtschaftliche Existenz bedrohen, ganz zu schweigen von schwerer Erkrankung bis hin zum Tod.
Sich nicht treffen dürfen, Menschen in Heimen nicht besuchen können, nicht in ein Theater, in ein Kino, ein Restaurant gehen können, trifft alleinlebende Menschen besonders. Telefonieren oder über andere soziale Medien in Kontakt zu treten, ist kein Ersatz, aber zumindest eine Möglichkeit, sich auszutauschen und nicht ganz allein zu sein.
Ich wünsche uns allen in dieser schon viel zu langen Zeit der Pandemie immer wieder Gespräche mit anderen Menschen. „Alles menschliche Leben ist Begegnung,“ heißt es bei Martin Buber und das ist zutiefst mein persönliches Erleben. Was mich in diesem Jahr ermutigt hat, ist die Erfahrung, dass sich auch nach einer unerwarteten Bremssituation im Leben neue und unerwartete Wege auftun können.