Die zwei Seiten der Einsamkeit
Erwünschte Einsamkeit kann heilsam und erfüllt sein, oft wird sie jedoch als schmerzliches Alleinsein erlebt
Da ist Manuela, die viel im Home-Office arbeitet und der durch Corona alle Hobbies weggefallen sind. Alle ihre Freizeitaktivitäten sind von Kontakten geprägt, und durch die derzeit geltenden Beschränkungen „verhungert“ sie emotional beinahe. Telefonate sind nett und hilfreich, ersetzen den persönlichen Kontakt aber nicht wirklich.
Bei Gerti ist es ähnlich. Sie macht gerne Ausflüge, geht mit Freunden essen oder ins Kaffeehaus. Diese Kontakte sind jetzt stark reduziert. Ihr großer Trost ist Ali, ein verwaister, älterer Hund, den sie vor kurzem aus dem Tierheim aufgenommen hat. Jetzt ist Gerti wieder für jemanden verantwortlich, und das tut ihr gut.
Was ist anders bei Ulla? Ulla ist schon lange in Pension, aber sehr beschäftigt. Mir scheint, dass sie immer wieder offene Türen entdeckt, oder sie sogar aufbricht, wo sich vorher welche geschlossen haben. Zwischendurch geht sie auf Tauchstation, in eine selbstgewählte reiche Einsamkeit, dann taucht sie energiegeladen wieder auf.
Auch meine Nachbarin Maria hatte ihre ganz besondere Art, der Einsamkeit zu entfliehen.
Sie hat geradezu leidenschaftlich Kontakte gepflegt. Maria wusste alle Geburtstage der Nachbarn, tauchte dann mit Blumen aus ihrem Garten auf zum Gratulieren und auf ein Bier und eine Jause. Oft war sie ganz selbstverständlich da und half Schneeschaufeln, wenn jemand krank war. Umgekehrt wusste sie auch sehr gut, was sie selbst brauchte und bekam es meist auch.
Nach ihrem Tod wurde uns allen erst richtig klar, wie sehr sie das Leben in ihrer Umgebung geprägt hatte. Maria hatte „keinen Genierer“, wie es bei uns in der Steiermark heißt. Und wir haben heute oft zu viel davon. Ich denke, dass mehr Menschen gerne anderen helfen würden, wenn sie wüssten, welche Hilfe gebraucht wird, und sei es nur für ein Wort, einen kleinen Plausch, einen Einkauf. Wir haben so viel Angst, andere zu stören, dass wir sogar am Telefon erst vorsichtig fragen, ob der andere Zeit hat.
Im Grunde kommt es vielleicht nicht darauf an, in welcher Form der Kontakt gehalten wird, sondern, dass wir in Kontakt bleiben. Also: haben Sie „keinen Genierer“ – rufen Sie an, schreiben Sie eine Nachricht und teilen Sie den Menschen ihrer Umgebung mit: ich bin da, ich denke an dich, sag es mir, wenn du etwas brauchst.