Ich kann nicht mehr – Schau gut auf dich, aber wie?
Eine Anruferin erzählt mir von den belastenden familiären Umständen.
„Bei meinem Ehemann wurde schon letztes Jahr Alzheimer-Demenz diagnostiziert. Er ist daheim und kann sich noch selber versorgen, während ich arbeiten gehe. Doch ich bemerke, wie er teilweise bereits darauf vergisst, sich das vorbereitete Essen zu wärmen oder seine Tabletten einzunehmen, obwohl sie unübersehbar am Küchentisch liegen. Wie wird das weitergehen, wenn die Krankheit schlimmer wird?
Und mein Sohn macht auch grade so eine schwierige Phase durch. Er arbeitet rund um die Uhr, um ja genug Geld für die Familie heimzubringen. Die Enkelkinder sind eh so brav, sie sind oft bei mir, wenn ich Zeit habe. Aber die Schwiegertochter! Für sie ist nur ihre Schönheit wichtig, sie gibt großzügig das Geld meines Sohnes für ihre Kleidung und Kosmetik aus, vernachlässigt dabei aber die Kinder und den Haushalt. Mein Sohn will sich nun scheiden lassen. Doch wer wird das Sorgerecht für die Kinder bekommen, wer wird auf die Kinder aufpassen, wenn er arbeiten geht?“
Das ist wirklich eine belastende Situation, in der sich die Frau im Moment befindet. Ihr nüchterner und bedrückter Ton lassen mich vermuten, dass sie sich schon sehr verausgabt hat und bereits mit ihren Kräften am Limit ist. Ich zögere kurz. Wieviel Direktheit kann ich ihr zumuten, doch ich spreche sie direkt an auf das, was sie bewegt. „Das ist sicherlich eine sehr schwierige Situation bei Ihnen zu Hause. Aber wie geht es Ihnen persönlich damit? Es klingt für mich so, als ob Sie für alle anderen immer da sind. Doch achten Sie dabei auch auf sich und Ihre Kräfte?“
Ihr scheint diese Frage nicht unbekannt zu sein, denn sie stellt mir gleich einen Gegenfrage: „Ja, ich weiß, ich sollte auch auf mich schauen, aber wie? Wie bei diesen Rahmenbedingungen?“
Spontan wertschätze ich ihren Anruf in der Telefonseelsorge, nämlich dass sie sich die Zeit und auch den Mut und die Offenheit genommen hat, von sich zu erzählen. Denn mit einem Außenstehenden über eine belastende Situation oder schwierige Momente zu sprechen, kann oft sehr entlastend sein.
Und dann haben wir über Dinge geplaudert, die ihr früher viel Spaß bereitet haben und die schönen Momente, die sie mit ihrem Mann erlebt hat. Im Gespräch haben wir die eine oder andere Möglichkeit entdeckt, wie sie auch jetzt im Alltag– vielleicht auch nur für wenige Minuten – sich eine Auszeit nehmen könnte, die ihr wieder Kraft für die nächsten Stunden gibt. Am Ende des Gesprächs hat sie sich dafür bedankt, dass sie für die kurze Zeit ihre Sorgen vergessen und neue Ideen gewinnen konnte, wieder Kräfte zu sammeln, um auch zukünftig für ihren Mann und ihre Familie stark sein zu können.