Zuhören von Anfang an
Hören und Zuhören ist nicht dasselbe. Im Englischen gibt es dafür zwei Vokabeln: to hear und to listen. To hear meint, dass ich etwas wahrnehme, was an mein Ohr dringt unser Sinnesorgan. To listen – dass ich mich einer Person ganz bewusst zuwende.
Zuhören in diesem Sinne können natürlich auch Menschen, deren Hörorgan geschädigt ist. Ich kannte in meiner Jugend viele taubblinde Menschen, die im Laufe ihres Lebens sowohl das Augenlicht als auch das Gehör verloren hatten. Mit einer eigenen Tastsprache konnten wir einander über unsere Hände wunderbar zuhören.
Ich und du
Zuhören ist auch nicht an den Intellekt gebunden. Die wohl zauberhafteste Kommunikation ist die mit einem kleinen Kind. Babylaute, erstes Brabbeln, Sprechversuche, Staunen, Fragen, Erzählen. Die Freude der Eltern und der Familie an diesen ersten Lauten ermutigen das Kind, sich auch weiterhin zum Ausdruck zu bringen. Diese fürsorgliche Zuwendung ist zutiefst identitätsstiftend. Das Kind erlebt sich als existent, als „ich“ in Beziehung zu einem vertrauensvollen „Du“, so wie es der Philosoph Martin Buber formuliert hat.
Ich denke, dass diese Grunderfahrung vielleicht überhaupt motiviert, einem anderen Menschen zuhören zu wollen und dies auch als zutiefst sinnstiftend zu erleben. Selbstverständlich ist das nicht, denn Zuhören hat keinen sehr hohen Wert in unserer Gesellschaft. Unsere Kommunikation wird immer mehr visualisiert und ist stärker aufs Senden von Mitteilungen programmiert, als aufs Empfangen. Berufliche und familiäre Herausforderungen nehmen uns in Anspruch und wir haben oft einfach den Kopf schon so voll und kaum Zeit.
Aber jeder von uns kennt auch die wunderbaren Momente der Begegnung mit einem lieben Menschen, der ehrlich und interessiert fragt, wie es mir geht, der nachfragt, mit mir meinen Ärger oder meine Freude teilt und mit mir von Herzen lacht. Solche Begegnungen wünsche ich uns allen – jeden Tag.