Zuhören statt wegtrösten – 142 – bei Depression
Draußen scheint die Sonne, endlich nach diesen vielen trüben Tagen. Aber sie wärmt dich nicht – im Gegenteil, sie scheint dich bissig anzugrinsen, weil du noch immer im Bett liegst. Ja, wieder einmal schaffst du es nicht, aufzustehen und die grelle Sonne macht alles noch schlimmer. Und sofort hast du die Sager deiner Freunde im Kopf: Reiß dich doch zusammen! Du musst nur wollen! Was willst du denn eigentlich, anderen geht es viel schlechter, du hast doch alles! – Doch anstatt zu helfen, wird dadurch deine Trostlosigkeit noch viel größer und du könntest schreien vor Einsamkeit.
Jetzt läutet dein Handy – aber du kannst nicht abheben, weil du dich so schämst, noch immer im Bett zu sein. Traurig vergräbst du dich noch tiefer in deine Kissen. –
Du warst doch angeblich eine tüchtige Frau, die alles im Griff hatte und der nichts zu viel wurde? War das nur Einbildung? Es erscheint dir nur noch wie ein verblasster Traum. Doch wenn du mit jemandem drüber reden möchtest, hörst du bloß: „Das wird schon wieder!“ und du fühlst, dass du allen lästig fällst mit deiner „Suderei“.
Wenn dir nur einmal jemand zuhören würde!
„1 4 2“. Was war das bloß? Ach ja, eine Notrufnummer, die dir eine Bekannte gegeben hat. Angeblich hat man ihr dort geholfen. Könnte man auch dir helfen?
1 – 4 – 2. Immerhin, das Eintippen hat geklappt. Jetzt läutet es und dann meldet sich eine Frauenstimme „Telefonseelsorge, Notruf, guten Morgen!“ Du kommst dir dumm vor und unfähig und sagst daher nichts. Endlose Stille – auch am anderen Ende. Kurz bevor du auflegst, hörst du: „Ich bin da. Fällt es Ihnen schwer, zu sprechen? Ich warte gerne noch ein bisschen.“ Nach einiger Zeit kommt eine weitere freundliche Aufforderung. Nun schaffst du es, dich zu melden und stockend beginnst du zu erzählen, wie schlecht es dir geht und wie unverstanden du dich fühlst. Wie mühsam dein Alltag ist und dass du gar nichts mehr fertigbringst. Aufmerksam hört dir dein Gegenüber zu und nimmt sich Zeit für dich. Nur kurz unterbricht dich die Stimme am anderen Ende: „Immerhin haben Sie es heute geschafft, anzurufen. Da ist Ihnen etwas Wichtiges gelungen.“
Im weiteren Gespräch spürst du, dass du dich hier nicht „verbiegen“ musst, dass du SEIN KANNST, WIE DU BIST. Als du nach einiger Zeit auflegst, kannst du ein bisschen die wohltuende Wärme der Sonne spüren. – Zum ersten Mal seit langem.