Trauer leben – (k)ein Tabu?
Obwohl Tod und Trauer feste Bestandteile des menschlichen Lebens sind, werden sie in unserer Gesellschaft häufig tabuisiert und die Gedanken dazu verdrängt. Jeder Mensch wird zwangsläufig, häufig auch mehrmals in seinem Leben, mit dem Tod von nahestehenden Personen (oder liebgewonnenen Haustieren) konfrontiert.
Trauer, ein vielfältiger Begriff, mit einer gemeinsamen Eigenschaft: seelischer (und oft auch körperlicher) Schmerz. Doch nicht nur der Tod eines geliebten Menschen oder Haustieres lässt uns trauern. Der Verlust eines Arbeitsplatzes, das „zu-Ende-Gehen“ einer Freundschaft, ein Umzug, der Verlust gewohnter körperlicher Aktivität - es gibt viele Anlässe, die uns Menschen zu Trauer veranlassen.
Trauer ist keine Krankheit – vielmehr ein Prozess, begleitet von unterschiedlichsten Gefühlszuständen. Nicht nur Traurigkeit und Sehnsucht können dabei auftreten, sondern auch andere Emotionen wie beispielsweise Wut. Trauer ist individuell und jeder Mensch geht unterschiedlich mit Verlusten um. Es gibt kein „richtiges“ oder „falsches“ Trauern.
Mascha Kaléko schrieb in einem ihrer Bücher den folgenden Satz: „Den eigenen Tod den stirbt man nur. Mit dem Tod der anderen muss man leben“.
„Wie soll ich nun weiterleben?“ „Warum ich?“, „Wieso musste das mir passieren?“ Dies sind Sätze, die wir nicht selten von unseren Anrufer:innen hören. Wir trauern im Grunde um uns selbst, da unser Leben ohne die geliebte Person weitergehen muss.
Doch einen Verlust kleinzureden, ist nicht hilfreich. Denn es ist schmerzhaft, ein nicht enden-wollender Schmerz, der sich in uns auftun kann, wenn man erfährt, dass ein geliebter Mensch nicht mehr mit uns auf dieser Erde weilt. Man könnte die Trauer als eine Wunde betrachten. Mit Eintritt der Todesnachricht ist diese Wunde ganz frisch und es liegt unter anderem an uns selbst, wie gut wir die Wunde in der kommenden Zeit pflegen. Spür in dich hinein – was tut dir in dem Moment gut? Irgendwann wird die Wunde zu einer Narbe werden. Die Narbe bleibt. Sobald man darüberstreicht wird sie uns immer an den Schmerz erinnern, den wir einst durchlebt haben. Aber der Schmerz wird nicht mehr in der gleichen Intensität auftreten, die er einmal hatte. Der Tod und die Trauer gehören zum Leben, wie auch Sonnenschein und Regen, Feuer und Wasser.
Wenn ich mit trauernden Anrufer*innen telefoniere, ermutige ich sie dazu, mir etwas von der verstorbenen Person zu erzählen, damit diese zumindest auch ein kleines Stück in anderen Erinnerungen weiterlebt. Ich erinnere mich an einen Herrn, der um seine Frau trauerte, mit der er vierzig Jahre verheiratet war. Sie starb plötzlich und unerwartet und er konnte sich nicht vorstellen, wie er sein Leben nun weiterleben sollte. Er erzählte mir seine Lebens-Liebesgeschichte, über Wendepunkte und Schicksalsschläge und über sein „Rezept“ für eine glückliche Ehe. Ich fragte ihn, was seine Frau ihm jetzt in dieser Situation sagen würde. Er überlegte kurz und antwortete dann: „Sie würde sagen: Leb für mich weiter und iss jeden Tag mindestens ein Stück Kuchen“. Am Ende des Gespräches mussten wir beide lachen und wir beschlossen, heute sogar zwei Stück Kuchen zu verspeisen – in Erinnerung an seine geliebte Frau.
Die Erinnerungen an einen geliebten Menschen und die Gefühle, die wir mit diesem erlebt haben, kann uns niemand nehmen. Sie sind manchmal das Einzige, was uns bleibt, und doch sind sie so viel mehr als „nur“ Erinnerungen.
Schlusswort:
Den Tod kann man nicht planen. Und auch die Trauer kann man nicht aufhalten. Aber der Umgang mit ihr kann gestaltet werden.