Durchhalten und kleine Lichtblicke finden
Die psychosozialen Auswirkungen der Corona-Krise
Rund einen Monat lang leben wir schon mit den verschärften Maßnahmen gegen das Coronavirus. Nach wie vor weiß keine*r so genau, wie lange es noch dauern, wann welche Regelung aufgehoben und welche neue Form der Normalität nach der Krise kommen wird. In einer Zeit, wo das Alte nicht mehr und das Neue noch ungewiss ist, herrscht allgemeine Unsicherheit. Sicher ist nur, dass sich unser aller Lebensstil in letzter Zeit gewaltig verändert hat - unsere Selbstverständlichkeiten sind uns abhandengekommen. Es ist, als hätte man uns den Boden unter den Füßen weggezogen. Mit diesem „Sozialexperiment mit unbekanntem Ausgang“ (Christian Schubert) haben viele Menschen zu kämpfen.
Die Herausforderungen der Isolation werden immer mehr spürbar: Die Enge der eigenen vier Wände, der neue Alltag mit Homeoffice bei gleichzeitiger Kinderbetreuung, Quarantäne für Alleinlebende, Familienmitglieder oder Bekannte dürfen nicht mehr besucht werden und vieles mehr. Dazu kommen die äußerst prekären beruflichen und finanziellen Lebenslagen, Konkurse und Arbeitslosigkeit.
Die Palette an Herausforderungen ist ebenso vielfältig wie die Reaktionen darauf. Viele haben sich gut in der neuen Normalität eingerichtet. Sie haben schnell auf neuem Boden Fuß gefasst und sehen es als Chance, den Stress herunterzufahren, mit sich selbst in Kontakt zu treten, Zeit mit der Familie zu Hause zu genießen usw. Für manch eine*n schafft die Verordnung das, was ihr/ihm selbst zuvor nicht möglich war: einen Gang herunterzuschalten.
Für andere aber ist die Situation zunehmend fatal. Da sind all jene, deren berufliche und finanzielle Zukunft existenziell bedroht ist. Da sind Menschen, die alleine leben und mit der Einsamkeit schwer zu kämpfen haben. Auch für psychisch vorbelastete Menschen, die schon vor der Krise auf wackeligem Boden standen, ist die Situation quasi ein „Potenzierer“ ihrer Leidenszustände. Ebenso verhält es sich bei schon länger bestehenden Familien- oder Beziehungsproblemen, welche nun vermehrt zu Konflikten führen, die nur schwer befriedet werden können.
Die Coronakrise macht innerpsychische und zwischenmenschliche Bruchstellen sicht- und oft schmerzlich spürbar.
Durchhalten und kleine Lichtblicke finden
Diese Situation wird uns voraussichtlich noch länger beschäftigen. Die anfängliche kurze Schockstarre wurde von der sehr motivierten „Wir schaffen das“ –Dynamik abgelöst. Fast muteten die ersten Tage als spannendes Experiment samt unzähliger Initiativen, Youtube-Videos, Balkonkonzerte, virtueller Museumsbesuche etc. an. Die psychische Verfasstheit vieler war durchwegs gut. Doch mit dem Vergehen der Zeit zeigen sich vermehrt die negativen Seiten. Es stellen sich vermehrt bange Fragen wie „Wie lange noch?“, „Werde ich meinen Beruf bzw. meine finanzielle Sicherheit erhalten oder wiedererlangen können?“ oder „Werden ich je wieder so leben wie bisher?“.
Die Situation erzeugt zunehmend Frust, Ärger, Ängste, Einsamkeitsgefühle, Traurigkeit oder Depression. Gerade jetzt gilt es durchzuhalten, zuversichtlich zu bleiben und aktiv etwas gegen die eigenen Schwierigkeiten zu tun. Dabei sind es nicht nur die belastenden Bedingungen selbst, sondern auch unsere innere Haltung dazu und unser Umgang damit, die eine wesentliche Rolle dafür spielen, wie sich die Situation auf unser Befinden auswirkt. Hier ist der Bereich, in dem unsere Handlungsmöglichkeiten liegen. Hier können wir aktiv werden.
Es gilt, die eigene Resilienz, also die eigene Widerstandsfähigkeit gegenüber schwierigen Lebensbedingungen, zu stärken. Dazu zählt zu allererst die Akzeptanz dessen, was momentan unveränderbar ist, denn: „Wir können eine Sache nicht verändern, wenn wir sie nicht akzeptieren“ (C.G.Jung). Akzeptieren wir Situationen nicht, dreht sich unser Denken meist nur darum, wie schlecht es uns geht. Akzeptanz hingegen verschiebt den Blick weg vom Problem hin zur Lösung.
Hilfreich ist auch, die Aufmerksamkeit gezielt auf etwas Positives, auf die Lichtblicke in unserem Leben, zu lenken – liebe Menschen um uns, den aufblühenden Frühling, ein gutes Gespräch, Genussmomente jeder Art, die eigenen Stärken etc. Auch die Konzentration auf Dinge – und seien diese noch so „klein“, die in der Vergangenheit Kraft gegeben, Mut gemacht und geholfen haben, kann Kraft spenden. So generieren wir positive Emotionen, die genauso wie eine positive Selbstwahrnehmung zu den wichtigsten Säulen unserer Resilienz gehören. Umgekehrt sollte man seine Aufmerksamkeit bewusst von negativen Inhalten ablenken – etwa sollte man den Medienkonsum bzgl. Covid-19 beschränken. Viele Menschen neigen dazu, ihren Fokus fast pausenlos auf das Negative – die Pandemie, die Einschränkungen etc. – zu lenken. Sie befinden sich in einer Negativ-Spirale, in der vieles nur noch schlimmer wirkt und Besserung in immer weitere Ferne rückt. Dieses Grübeln über negative Inhalte sollte man aktiv begrenzen, etwa indem man sich mit anderen, erfreulicheren Tätigkeiten beschäftigt.
Viele von uns sind durch die soziale Isolation und die Verhinderung der Berufsausübung auf sich selbst zurückgeworfen. Durch den Wegfall der beruflichen Tätigkeit und der damit verbundenen Anerkennung, durch das Gefühl des Nicht-gebraucht-werdens (etwa auch als Großeltern), durch den Ausfall des geschäftigen Alltags stehen wir plötzlich „nackt“ vor uns selbst. Wer blickt mich da im Spiegel an? Bin ich noch etwas wert? Wieviel Anerkennung und Wertschätzung bringe ich mir selbst entgegen, so ganz ohne meine Funktionen, Ämter, Tätigkeiten?
Bei vielen macht sich innere Leere breit, der eigene Selbstwert und vielleicht die gesamte bisherige Lebensführung geraten ins Wanken. Sowohl finanziell als auch die eigene (berufliche) Identität betreffend gibt es keine stabile Zukunftsperspektive mehr. Verzweiflung und Ohnmacht stellen sich ein. In solch existenziellen Krisen geht es zunächst darum, das eigene schmerzliche Erleben zuzulassen, dieses zu würdigen und dann die eigenen Ressourcen zu aktivieren. Menschen in Krisen müssen wieder zu Kräften kommen, sie müssen wieder Fuß auf tragfähigem Boden fassen. Hier ist es notwendig, die eigene Handlungsfähigkeit und ein Gefühl der Selbstwirksamkeit zu erhalten oder wiederherzustellen. Es braucht die Gewissheit, dass Krisen aus eigener Kraft bewältigbar sind. Dazu gehört auch die Fähigkeit zur Gefühlsregulation und Ressourcenaktivierung, die Fähigkeit, die Dinge aktiv anzupacken sowie die Bereitschaft, vorhandene (finanzielle, therapeutische, berufsbezogene etc.) Unterstützungsmöglichkeiten zu nutzen. Für die Zeiten auf stürmischer See brauchen viele Menschen einen Leuchtturm, der ihnen den Weg vorgibt.
Ein Leuchtturm in schwierigen Zeiten: TelefonSeelsorge – Notruf 142
Wer das Gefühl hat, es alleine nicht zu schaffen, sollte nicht zögern und Unterstützungsangebote nutzen. Die TelefonSeelsorge Oberösterreich – Notruf 142 ist an allen Tagen des Jahres rund um die Uhr, vertraulich und kostenlos erreichbar. Dies gilt natürlich besonders in der derzeitigen Krisensituation. Die Mitarbeiter*innen des amtlichen Notrufes sind für all jene da, die sich belastet fühlen, voller Angst sind, nicht mehr ein und aus wissen. Sie haben aber auch ein offenes Ohr für alle Menschen, die in diesen Tagen sozialen Kontakt, ein menschliches Gegenüber und ein Gespräch suchen. Unter dem Motto „Sorgen kann man teilen“ die TelefonSeelsorge ein niederschwelliges Beratungsangebot per Telefon, Mail oder Chat.
Seit der Verschärfung der Maßnahmen seitens der Regierung melden sich vermehrt Menschen, die Angst haben, am Virus erkrankt zu sein, oder Anrufende, die die Einsamkeit schwer ertragen. Menschen, die mit der engen Situation mit ihren Familien nicht zu Rande kommen. Mittlerweile sind viele Therapie-/Beratungs- und Seelsorgeeinrichtungen geschlossen. Ihre Klienten*innen sind aber auch weiterhin auf Beratung, Begleitung und Unterstützung angewiesen – gerade jetzt!
Was wir tun
Ein Gespräch kann vieles verändern. Im Kontakt mit der TelefonSeelsorge erfahren die Ratsuchenden Respekt und Aufmerksamkeit. Dabei leitet uns der Gedanke, dass das Individuum auf Entwicklung, Wachstum und Reifung angelegt ist. Das kann im Gespräch dazu führen, dass der/die Erzählende sich selbst und seine/ihre bereits unternommenen Bemühungen respektvoller wahrnimmt.
Eine weitere Aufgabe am Telefon ist es, Hoffnung auf Veränderung zu stärken. Dazu zählt das Bewusstsein dafür, dass Menschen nicht durch ihre Vergangenheit festgelegt sind, sondern in jeder Lebensphase Schritte zur Veränderung setzen können. Es geht darum, die erlebte psychische Enge zu weiten und neue Räume zu schaffen. Räume, in denen Bewegung wieder möglich wird. Äußere und innere Begegnungsräume mit den eigenen Emotionen, Gedanken, Wünschen, Sorgen.
Das bringt Entlastung und häufig auch wieder eine neue Perspektive. Die Anrufenden sind nicht mehr im selben Maß in ihrem Problem gefangen wie am Beginn des Gesprächs, sondern entdecken erste Möglichkeiten zur Bewältigung ihrer Lebenssituationen.
Weiters geht es darum, „diffuse“ Ängste zu explorieren, zu benennen und zu sortieren. Es werden Strategien zur Angstreduktion entwickelt, um das Gefühl der Ohnmacht zu lindern und rationales Denken zu ermöglichen. Gemeinsam mit den Anrufern*innen suchen wir Wege im Umgang mit der Einsamkeit, animieren dazu, Sozialkontakte aufzubauen, und helfen dabei, eine Alltagsstruktur aufrechtzuerhalten. Wir fördern die Selbstwirksamkeit und suchen nach Möglichkeiten, die Handlungsfähigkeit der Anrufer*innen zu erhalten.
TelefonSeelsorge online
Neben dem telefonischen Gesprächsangebot bietet die TelefonSeelsorge auch Mail- und Chatberatung an. Der Sofortchat der TelefonSeelsorge ist als Unterstützung für die Menschen in dieser Krisensituation täglich von 14:00 bis 22.00 Uhr geöffnet. Das Angebot ist aus ganz Österreich kostenlos, anonym und vom eigenen Wohnzimmer aus erreichbar. Damit kann sichergestellt werden, dass Menschen, die Hilfe und Unterstützung benötigen, diese trotz Ausgangsbeschränkungen weiterhin in Anspruch nehmen können. Im geschützten Chatroom finden Sorgen und Ängste Raum. Für Menschen, die unter der zunehmenden Isolation leiden, bieten die Berater*innen ein menschliches Gegenüber, Kontakt, sowie Unterstützung bei der Suche nach Alternativen zur Gestaltung des Alltags und der zwischenmenschlichen Kontakte.